» Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.« – Victor Hugo
Angst, Wut und Liebe stecken ein Kräftefeld ab, indem wir mit Begehren, Empathie, Verzweiflung, Trauer, Euphorie, Hass, Zartheit, Ekel, Negation, Zorn, Einsamkeit und anderem Empfindungen konfrontiert werden. Wie kaum eine andere Kunstform ermöglicht Musik, Erfahrungen mit den zwiespältigen Wirkungen und Möglichkeiten von Emotion und bewusster Emotionalisierung zu machen. Mit dem Thema Fear Anger Love sucht CTM 2017 nach Musik und Künstler*innen, die sich in unterschiedlicher Weise der Frage der Emotion stellen und dabei auf gegenwärtige gesellschaftlichen Entwicklungen und Krisen reagieren, die zunehmend durch Emotionen getrieben werden.
Der bedrohliche Aufschwung des politischen Populismus zeigt es mehr als deutlich: Emotionen sind unbändige Kräfte, die gefährliche Sprengkraft entwickeln können. Wo sie sich berechnend einhegen lassen, spielen sie dem Ressentiment und jenen gesellschaftlichen Kräften in die Hände, die es für ihre komplexitätsreduzierenden, reaktionären Politikentwürfe ausnutzen – und dort, wo sie sich schlussendlich nicht kontrollieren lassen, setzen solcherart freigelassene Emotionen nur all zu leicht noch zersetzender. Wohin wir dieser Tage auch blicken, die Emotionalisierung von Politik verhindert Lösungen, verschärft Polarisierungen und lässt die Konflikte eskalieren.
Doch sind es die Emotionen per se, die das Problem ausmachen, oder ist es die Art und Weise, wie sie durch jene, die massenmediale Aufmerksamkeitsregeln virtuos beherrschen, für ihre antidemokratische, essentialistische und nationalistische Mobilisierung ausgenutzt werden?
Sind Emotionen nicht gleichermaßen wichtig, damit sich all jene, die von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt sind, Gehör verschaffen und ihre Forderungen nach mehr Gerechtigkeit, Vielfalt, Inklusion und Offenheit selbstbewusst in die Mitte der Gesellschaft tragen können?
Wie unterscheiden wir also einen progressiven von einem reaktionären, den demokratischen von einem antidemokratischen Umgang mit Emotionen? Und was hat das alles mit Musik zu tun?
Musik ist eine empfindsame und durch Empfindungen rezipierte Kunst. Die brisante Janusköpfigkeit der Emotion ist ihr seit jeher eingeschrieben. Tatsächlich ist die Debatte um das manipulativ-verführende und das emanzipatorisch-befreiende Potential von klanglicher Emotion so alt, wie die Musik selbst.
»When the mode of the music changes, the walls of the city shake.« – Platon
Schon in der Antike wurde die physische Kraft und hypnotisierende Sinnlichkeit der Musik als eine Gefahr für die moralische und politische Ordnung diskutiert. Man fürchtete die Unterminierung der Autonomie des Individuums, unkontrollierbare Gruppendynamiken, Feminisierung und Aufweichung männlicher Selbstkontrolle oder gar durch musikalische Sirenen drohenden Wahn und Verderben.
Die Antwort auf dieses Problem war das Bestreben, die Musik durch Kopplung an eine himmlische Harmonie und durch ihre Beschreibung in rein mathematischen Verhältnissen zu vergeistigen und von den realen Körpern zu lösen. Auch heute gibt es, nicht zu Letzt aufgrund der Erfahrungen der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts und der hegemonialen Mechanismen der Kulturindustrie, in der Musik Positionen, die ihren emotionalisierenden Möglichkeiten eine Absage erteilen und vor allem auf eine verstandesmäßig rational zu rezipierende kontextfreie Musik oder auf konzeptgestützte Gesellschaftskritik setzen.
Aber brauchen wir Emotionen nicht ebenso dringend, wie wir sie fürchten sollten? Und ist analytische Kritik wirklich die vornehmliche Aufgabe von Musik und Kunst? Am anderen Ende des Spektrums steht eine Musik, die sich als Ausdruck radikal subjektiver Empfindungen versteht. Solche Musik speist sich aus persönlichen und gesellschaftlichen Konfliktlagen und wendet sich gegen das Abdrängen dissonanter Gefühle und der zugrunde liegenden Erfahrungen. Echte, nicht strategisch oder manipulativ eingesetzte, Emotionen geben, so schwierig sie sein mögen, Zugang zu Erfahrungen jenseits gesellschaftlicher Norm. Sie fordern jeden einzelnen und die Gesellschaft auf, sich zu fragen, wie wir mit diesen Emotionen und den solcherart empfinden Subjekten umgehen wollen, wie offen wir sein können, wie viel Raum wir dem Andersfühlenden geben wollen, wie weit unsere Integrationsfähigkeit reicht oder mitunter auch, wie wir Resilienz gegenüber diesen Kräften stärken können.